Alles hat seine Zeit
Der allzu sonnige, immer blaue , wolkenlose Himmel ging mir nach 3 Monaten ganz schön auf den Geist. Oh Gott, schon wieder blauer Himmel, dachte ich jeden morgen. So langweilig und phantasielos kann Wetter sein. Staubig, überall kriechen Käfer ins Haus, Mücken, + Grillen selbst die niedlichen Geckos an der Hauswand gingen mir mit der Zeit auf die Nerven.Nachts hielt mich das Heulen eines einsamen wilden Hundes wach, hatte der sich dann doch mal schlafen gelegt, trompetete ein ein alter Esel, dass einem Angst und Bange wurde. Ein J-A habe ich aus diesen Lauten nie herausgehört. Streunende Katzen schlichen nachts übers Grundstück und haben sich gern auf den Sonnenliegen breit gemacht. Mein HUSCH-HUSCH hat sie kaum beeindruckt.Der Höhepunkt bildete aber ein äusserst liebebedürftiger Nachtkauz. Der jammerte und schrie wochenlang jede Nacht herzzerreissend. Wir hofften so sehr, dass er bald ein Pendant findet um sich zu paaren.Dann hätten wir auch endlich Ruhe. Es ging ihm ja nicht anders als vielen Menschen, wenn sie Lust auf Sex kriegen. Diese streunen denn auch umher mit gierigem Blick, der Schrei kommt dann erst später, und nicht für ein ganzes Dorf hörbar, bei der Erfüllung des Triebes.
Eines Nachts hörten wir ein leises wimmern. Nicht anhaltend, aber immer mal wieder. .Tagsüber konnten wir nichts hören. In der zweiten Nacht fing das Gewimmere wieder an. Jetzt musste ich den ungewöhnlichen Geräuschen nachgehen. Und mit Hilfe einer Taschenlampe dursuchte ich jedes Gebüsch. Und was war. Unter einem uralten Algorobobaum lagen 4 Hundewelpen. Da hatten wir die Bescherung. Die wild herumstreunenden Hunde fanden unseren zivilisierten Garten, mit dem alten Baumbestand wohl standesgemäss für ihre Brut. Aber wieso gab es den Dorfladen, wo sich allmorgendlich sämtliche einheimische Bewohnerinnen zum Klatsch traffen. Das Welpenlager in dem Paradiesgarten hat sich in windes Eile herumgesprochen, Schon standen zig Dorfkinder da, mehr als Welpen und alle wollten die niedliche Gassenhunde streicheln und mitnehmen. Die Mutterhündin war sehr hässlich, aber friedlich so ,liessen wir sie 8 Wochen gewähren und verteilten danach die ruppigen Neulinge an Kinder in 2 verschiedenen Dörfern. Welpen sind ja immer niedlich, egal wie die Eltern aussehen. Nun waren wir aber gewarnt, und danach streuten wir groben Kies unter den Baum, damit diese Hündin nicht noch mal auf den Gedanken kommt, in der bequemen Mulde zu werfen.
Aber die Schwalben, die unter dem Dach einer Arkade unseres Hauses ein Nest gebaut hatten, die beglückten mich fast jeden Tag. Sie flogen im Sturzflug über den Schwimmingpool , tauchten kurz und im Steilflug ging es wieder hoch in die Lüfte, flogen durch die offenen Türen ins Haus und setzten sich auf das Geländer der Galerie. Da bestaunten wir uns gegenseitig, und Schwupps waren sie wieder draussen , um mit dem aufregenden Schauspiel des Sturzfluges neu zu beginnen. Es war eine elegante Darbietung der besonderen Art.
3 mal die Woche besuchte ich einen Spanischkurs.Wir waren nur zu zweit. Lili, eine mit äusserst üppigen Formen ausgestattete verwitwete Engländerin , die auch schon frühmorgens, ohne mit der Wimper zu zucken zu einem Glas Whyski griff, war aber mehr auf der Suche nach einem Abenteuer, als auf der Suche nach dem Verstehen der spanischen Sprache. Sie besass die Gabe, sich auch bei kälteren Temperaturen hochsommerlich zu kleiden, wie die meisten Engländer. Sie scheinen ein besonderes Gen zu haben, dass ihre Haut nicht frieren lässt. Vielleicht noch ein Übrigbleibsel aus der Kolonialzeit. Die Herren der Schöpfung bevorzugten ausschlieslich kurze Hosen und waren immer kurzhemdärmelig. Jesuslatschen war das Hauptschuhwerk, selbst auf ungemütlichen staubigsteinigen Wegen. Das Wetter war immer nice und beautiful. Überhaupt, man schlug sich gegenseitig,je höher der Alkoholspiegel war ,dauernd auf die Schultern ,um sich immer wieder aufs neue zu beweisen dass man hier, weit weg von zu Hause , Zivilisation und Kultur der grosse winner war. Man traf sich beim Boule, Golf oder Wandern. In Wahrheit vertuschte man aber mit dieser Triebsamkeit nur die Einsamkeit und das Heimweh. Man wollte nicht zugeben, dass man eigentlich jeden Tag nur inhaltslos totschlug. Der Whisky sorgte für die fast perfekte Täuschung.
Jeden Tag traf man sich bei jemandem anderen, um die nächste Krankheit durchzukauen. Ab und zu konnte auch die sengende Sonne nicht verhindern, dass eine neue Hüfte oder ein neues Kniegelenk fällig wurde. Da das Gesundheitssystem in England für Otto Normalverbraucher eine lange Wartezeit zu lässt, fanden das die Angel-Sachsen hier ganz sensationell, dass sie, kaum vom Ortohpäden verordnet, in dem nächstgelegenen Krankenhaus operiert wurden. Dann aber funktionierte diese Community hervorragend. Es wurden Fahrdienste organisiert und der Operierte konnte sich kaum retten vor neugierigen Besucher. Für diese war das eine willkommene Abwechslung in dem wolkenlosen heissen Alltag. Das Thema Krankheit blieb erhalten, es hat sich jetzt nur von dem Mittagstreff oder der Bodega direkt an den Ort des Geschehens verlagert.
Lili und ich hatten zwar viel Spass miteinander, aber, ich wollte spanisch lernen und nicht mein Englisch aufpolieren, so belegte ich dann relativ schnell Einzelunterricht. Damit hatte ich wenigstens eine kleine Aufgabe. Da es aber die meisten der fremdsprachig Zugezogenen nicht für nötig hielten ihre Sprachkentnisse zu erweitern, stand ich auch da auf einsamen Posten.
Peter ackerte schon frühmorgens im neu angelegten Garten, um wie er immer wieder sagte, für mich ein Paradies zu schaffen. In Deutschland war Gartenarbeit ausschliesslich meine Sache. Ich war nicht schlecht erstaunt, wie gezielt fachmännisch er die Sache anging. Verschiedene Sorten Palmen, Strelizien, Aloevera, Hibiskus, Kamelien Orangen und Zitronenbäume nebst kaktusähnlichen Gewächsen arrangierte er zu verschiedenen Inseln, die er weitläufig um den grossen Pool bepflanzte. Bouganvillas gedeihten kräftig in allen Farben, diese Farbenpracht war Balsam für die Seele. Vor allem für Peters Seele. Wenn dann gegen Mittag die Hitze ( für mich ) fast unerträglich wurde, machte sich Peter auf die Socken und liess es sich am Meer wohlgehen. Nackt, so wie Gott ihn schuf, unter Gleichgesinnten. Ein vorgezogenes Paradiesleben.
Ich las viel und zog mich dann lieber tagsüber, bis der grosse Wärmestau sich verflüchtigte, in die klimatisierten Räume zurück.
Zum Einkaufen für den täglichen Bedarf konnte ich zu Fuss zwischen 2 kleinen Lebensmittelläden, die von einheimischen Frauen geführt wurden , auswählen. Die hatten alles. Vom Waschpulver bis zur lebenden Henne. Die meist schwarzgekleideten Ehefrauen trafen sich allmorgendlich zum Plausch in einem der Läden. Es wurde getratscht und Neuigkeiten ausgetauscht. Den spanischen Dialekt, den die einheimischen sprachen, unterschied sich oft gewaltig von dem Spanisch was ich in der Schule lernte. Der Hit aber war, dass die meisten mein Spanisch auch nicht verstanden. Das änderte sich dann aber nach ein paar Wochen schnell, und so konnte ich mich dann auch an der Tratschkonversation beteiligen. Ich hatte 2 Alternativen . 1. Dorfklatsch mit den Einheimischen, oder 2. Krankenklatsch mit den europäischen Zugezogenen, vor allem Engländer, aber auch Holländer, Deutsche und Schweizer. Da bevorzugte ich dann doch den Dorfklatsch, zumal ich da manchmal auch ein altes spanisches Kochrezept in Erfahrung bringen konnte. Da mich die Hitze aber generell mehr lähmte als motivierte, habe ich diese selten ausprobiert.
Unvergessen bleibt mir aber eine alte, füllige schwarzgekleidete Spanierin. Ihr mildes, von Falten übersätes Gesicht hat mich gleich fasziniert. Ich stand zum ersten mal in der Bäckerei des weissen Dorfes am Hang. Von Brot oder anderen Backwaren keine Spur. Die Einheimischen tratschten eine mir völlig unbekannte Sprache. Ab und zu verschwand die Inhaberin, die fast zahnlos und schwer gebückt, hinter der leeren Theke stand. Sie kam dann wieder und brachte ein oder auch mehrere baguette ähnliche Brote. Jene mildfaltige Dorffrau hielt einen einfachen, aber von der grösse her speziellen Leinenbeutel in der Hand, in dem sie die Brote verschwinden liess. Ich versuchte, damals der fremden Sprache noch nicht mächtig, mit einfachen Gesten zu erfahren , wo man den hier diese Beutel kaufen könne. Ich fand diese äusserst praktisch. Wortlos leerte die faltig ausgetrocknete Alte den weissen Leinenbeutel, nahm die Brote in die andere Hand, und überlas ihn mir einfach so. Mit einem gütigen Lächeln, dass ich nie vergessen werde. Mir verschlug es die Sprache. Ich schämte mich. Mit hochrotem Kopf umarmte ich diese arme Bäuerin, mehr fiel mir in diesem Moment nicht ein. Alle Zugezogenen galten hier als reich, auch wenn der Schein oft trügte, Die meisten haben sich ja hieher verkrochen, weil sie hofften mit ihrer Rente hier besser über die Runden zu kommen, als in ihren feuchten, kalten Heimatländern.
Später erfuhr ich von anderen Dorfbewohnern, dass diese Frau und ihre Familie zu den ärmsten hier gehören. Mein Gott, sie gab mir sozusagen ihr letztes Hemd, ohne wenn und aber. Da wurde mir schlagartig klar aus was für einer verdorbenen Zivilisation ich komme. Doch trotz diesem und noch anderen herzlichen Erlebnissen zog es mich immer mehr wieder ins scheinbar verruchte Deutschland.
Einer der Dorfläden hatte sogar einen Namen. Carmen. Eines Tages, als ich nach ein paar Jahren einen Blitzbesuch zu Peters Geburtstag machte, staunte ich nicht schlecht, dass aus Carmen „ Supercarmen „ geworden ist. Das neue grosse grellfarbige Schild hing stolz über dem Ladeneingang. Jetzt war es ein helles freundliches Geschäft, mit Tiefkühltruhe und allem pipapo. Ich freute mich insgeheim, dass die Dorfbevölkerung jetzt auch langsam vom Wohlstand den die Zugezogenen zwangsläufig mit in das Dorf brachten, profitierten. Plötzlich standen neue Autos vor den einfachen aber immer topweissgestrichenen weissen Häusern. Die Jugend, die im ersten und zweiten Jahr unseres Aufenthaltes vorwiegend in den engen Gassen rumlungerten , verschwand vom Strassenbild. Jugendliche und auch schon älteren Männer waren alle auf irgend einer Baustelle beschäftigt. Die jungen Mädchen träumten nicht mehr von der frühen Heirat und dem Kinderkriegen, nein, sie liessen sich in nützlichen praktischen Berufen ausbilden, kleideten sich modisch und haben das Lachen wieder gelernt.
Eine Vielzahl an mehr oder weniger weisshaarigen „ Schicksalsmenschen, bildeten nebst der einheimischen Bevölkerung das Hauptkontingent. Herzinfarkt, Schlaganfall, oder ein fast überstandenes Krebsleiden , Osteoporose Arthrose ,mehrere Bypässe, Herzschrittmacher, künstliche Hüft- und Kniegelenke. War man, trotz fortgeschrittenen Alters noch verschont geblieben für den Einbau eines medizinischen High Tech Gelenkes galt man schon als Aussenseiter. Wohl nicht genug geackert im Leben, kein Stress gehabt, nicht gelebt? Ja, ich fühlte mich als Aussenseiter. So konnte und wollte ich mich auch nicht an den Gesprächen beteiligen, die sich fast ausschliesslich um Krankheitsbilder drehten. Der Knüller allerdings waren die allergiegeschädigten, frühpensionierten Lehrer, vornehmlich aus Berlin. Die blühten hier richtig auf, angelten sich eine neue Lebensgefährtin-und schwupps- die Allergie war wie vom Erdboden verschluckt .Bandscheibengeschädigte Gärtner mutierten zu erfolgreichen Häuslebauern, und gestalteten brachliegendes, vertrocknetes Land zu wahren Parkanlagen.
Ein englisches Ehepaar bildete eine angenehme Ausnahme.. Er war zwar auch ein Herzinfarkt geschädigter. Aber in seinem früheren Leben hat er sich sein Geld und seine Pension als Förster verdient. Vater von 6 Kindern, die allesamt noch in Schottland, seiner alten Heimat wohnten.Das Exförsterpaar zog wegen der Rheumaerkrankung der Frau in den Süden. Aber sie jammerten beide nicht rum, sondern packten mit an. Er verwandelte sein riesen Grundstück in einen Obst und Weingarten. Die Engländer waren alle scharf auf mindestens 10 000 qm Land. Und das Haus muss ein „down stairs“ haben. Das ist mein Grund und mein castel, erklärten sie immer wieder voller stolz jedem Besucher. Sie legte einen Rosengarten an, für Engländer das Höchste an Gartenkunst. Ihr Grundstück verwandelte sich schnell in einen englischen Garten. Da in dem Tal wo wir alle wohnten genug Wasser vorhanden war, gedieh alles schnell und prächtig. Es war ein Stück Schottland in Spanien. Ihre schweren dunklen Möbel passten sich dem Haus an. Kam man überraschend zu Besuch , gab es immer einen hervorragenden Schluck Whyski für die Herren derweil sich die Damen einen Tee und Keks gönnten. Unübertroffen waren die selbstgemachten Orangenmarmeladen der Hausfrau. John blies auch ganz ausgezeichnet den Dudelsack. Unvergessen sind die Abende, wo er im Schottenrock , mit Tränen in den Augen spät nachts einsam ums Dorf herummaschierte und diesem so typisch schottischenDudelsacksound frönte. Das waren Heimweh-Klänge vom Feinsten .Da blieb kein Auge trocken, selbst die Spanier gerieten in traurige Verzückung.
Interessanterweise versteckte sich hinter den ganzen Schicksalschlägen auch manches unverhofftes Talent. Eine alternde Holländerin, die früher in ihrer Heimat im Kirchenchor sang, entpuppte sich hier als recht angenehmer Solo Sopran. Sie beglückte uns nun aber dauernd mit ihren Arien und Liedern, nachdem sie einmal Lob erhalten hatte. Ein ehemaliger Theaterregisseur, der Alkoholiker war, und das auch gut fand, gab Malkurse, die sich immer zu einem aufregenden Theaterstück entwickelten. Die Teilnehmer lagen sich dann fast regelmässig in den Haaren, da auch hier der Alkohol seine Wirkung zeigte.
Der Ehemann der holländischen Sopranistin, der in seinem ersten Leben als Schiffsoffizier seine Brötchen verdiente, outete sich als hervorragender Gitarren spieler.
Mit ihm und ein paar anderen Schicksalsgeschädigten fing auch Peter an die Gitarre zu zupfen. Ich hielt ihn bis dahin immer für unmusikalisch. Doch bei Peter bewirkte der Lebens und Klimawandel wahre Wunder. Besser konnte er seinen Krebs nicht besiegen.
Ein Anruf unserer hochschwangeren Tochter, die ihr zweites Kind erwartete, kam mir aber gelegen, dass für mich allzu sonnige Land zu verlassen. Es pendelte sich auch für mich langsam „der Tag totschlageffekt ein „ Peter war gesund, so voller Lebensenergie, tatkräftig, frei von der Last des Berufes. Er brauchte mich jetzt nicht mehr in dem Maase wie während seiner Erkrankung und Genesung.
ENDE