1 JAHR RAVENSBURG Juli 08
Image : Stadt Ravensburg
Wir haben uns in dem ersten Jahr hier schon ganz gut eingelebt. Die schwäbische Freundlichkeit ist für uns immer noch was besonderes.Wir geniessen die Gelassenheit der Menschen, sie haben immer Zeit für ein Schwätzchen und trotzdem sind sie bienenfleissig. Die Kehrwoche ist ein Heiligtum. Die Hecken werden öfter im Jahr akkurat geschnitten, jedes Unkraut gezupft, mittags kommt der Sohn oder Lebenspartner, Ehemann inklusive, zum Mittagessen. Käsespätzli und Maultaschen werden bevorzugt. Genau 1 Std währt die Pause. Dann geht’s wieder an die Arbeit, aber nie in Hektik.
Und der Radiosender SWR4, der Sender vom Neckar bis zum Bodensee vermittelt ob man will oder nicht, das absolute Heimatgefühl.“Da sind wir Daheim“ so tönt es mit einer angenehm-sonoren , meist Männerstimme, aus den Lautsprechern. Ja, endlich Daheim. So wurden wir noch in keinem anderen Bundesland begrüsst. Da ich bis dato , aus Zeitgründen wenig Radio gehört habe, war ich aber erst sehr erstaunt, was da so abgeht, vor allem nachts auf den Autobahnen und Bundesstrassen.
Achtung : Rinder, Pferde, Hunde, Schafe, Wildschweine, Rehe, tote Tiere, aber auch Kinder und einfach nur Personen auf der Strasse. Die Falschfahrer sind unterdessen schon fast harmlos. Es liegen Holzlatten, Gummiteile, Sofas, Tischbeine, brennende Reifenteile, defektes Auto, Kindersitz, Betonteile, Stühle, Metallstücke, Auspuff, Stossstange, Plastikteile oder eine Ölspur einfach so rum. Dann fahren Schwertransporter, die nicht überholt werden können, bei starkem Regen gibt’s aqua planing, umgestürzte Bäume und aufgeschwemmte Schachtdeckel. Nach einem Unfall sind 1 oder 2 Spuren gesperrt.
Ein Abenteurer könnte ohne Probleme einen kleinen Hausstand und Zoo zusammen sammeln.
Als Neubürger ist man hier herzlichst Willkommen, auch wenn man schon ausserhalb der Zielgruppe lebt. Bodo der Verkehrsbund stiftet pro Person ein monatlich gültiges Gratisticket, die Schwäbische Zeitung liefert ihre Exemplare 4 Wochen kostenlos zur Probe. Ob beim Bäcker, Metzger oder beim Gemüse und Obsthändler, nicht nur die neuen Gesichter werden freudig regestriert und immer sehr zuvorkommend bedient.
Was ein Unterschied zu dem Haifisch_Land Rhein-Maingebiet. Alles rennt, immer mit tiefernster, wichtiger Miene. Kein Guten Tag, geschweige ein Grüss-Gott kommt über die meist schmalen, verbissenen Lippen. Sind diese mal etwas fülliger bei Frauen, sind es meist Kunstprodukte, made by Botox. Gott existiert hier nicht, oder nur als reines Lippenbekenntnis. Geld regiert die Welt. Und Tausende junge Leute lassen sich in diese Geyerwelt einschleussen. Mit Hoffnung auf ein besseres Leben, ein Leben im Luxus und
vor allem im Trend-Stil- Die richtigen Kleider, die wahren Markenschuhe, natürlich auch das angesagte Fitnesstudio. Es darf auch nicht der falsche Frisör sein. Vor allem das IN-Restaurant . Dort sucht man für ein paar Stunden Ablenkung meist mit den falschen Leuten. Aber Kleider machen Leute- der Redefluss wird immer flüssiger, nach jedem Glas Wein oder Champagner .
So gehetzt, und vom Arbeitgeber in die Zange genommen und zu immer neuen Höchstleistungen aufgefordert, die nicht selten am Rande der Legalität sind, hängen nicht wenige nach einer gewissen Zeit an der Flasche oder ziehen sich regelmässig Koks durch die Nase. Jetzt ist man gut drauf, überdreht freundlich , noch hektischer, unkonzentriert bei der Arbeit und immer auf der Suche nach dem schnellen Sexabenteuer. Das entspannt, wenigstens für eine halbe Stunde. Der unerwartete Anruf der Ehefrau,oder Ehemannes wirft einem wieder in die Realität. Natürlich Schatz, selbstverständlich Schatz, ich freue mich auf Dich heute Abend.Ich komme leider aber etwas später, der Chef hat noch unerwartet eine wichtige Konferenz anberaumt. Du weißt doch, ein neues Produkt. Aber am Wochenende, da bin ich nur für dich und die Kinder da. Kuss und tschüss.
Am Montag sind sie heilfroh, den ehelichen Pflichten wieder entronnen zu sein. Das Geschrei und Gezänke der Kinder,es hat 48 Stunden nur geregnet, die Garten-und Aufräumarbeit, die Sex-Ansprüche der Frau, all das schafft sie mehr oder mindestens genau so wie der Arbeitsalltag.Es ist eine Spirale.Ein paar Jahre geht das gut, und dann kommt der Knall. Bourn-out-Syndrom oder Drogen abhängig. Doch im Vertuschen sind sie alle Meister. Nur die Haltung waren, alles ist immer Bestens. Ja keine Schwäche zeigen.Was mein Kollege/In schafft, schaff ich auch. Wäre ja lächerlich.Und selbst wenn Mitarbeiter oder gar der Chef zu ahnen beginnen , dass was nicht stimmt, viel zu lange wird vertuscht und geschwiegen. So was passiert hier nicht, nicht in unserer Firma.
Der Arzt des Vertrauens spielt ja auch mit. Magen-Darmgrippe Migräne, Ischiasbeschwerden.Wer kann schon das Gegenteil beweisen. Nicht selten gipfelt den das ganze beim Psychiater. Dann ist man fein raus. Auszeiten, oft monatelang,aber rechtzeitig wieder zurück, um den Arbeitsplatz nicht zu verlieren.Aber nur um nach ein paar Wochen wieder krankgeschrieben zu werden. Diese Zeit kann man nützen um seinen Hausbau zu betreuen und private Kundengeschäfte zu organiseren. Dann eines Tages kommt er doch, der grosse Absturz. Es bleibt nur noch die Psychiatrie oder der Entzug. Jetzt ist alles entsetzt. Wer hätte das gedacht. Na kann man sich so täuschen, aber auch, hab ich immer vermutet. Kam mir immer komisch vor.Nun gehört man zu den Loosern. Gleichzeitig macht man Platz für einen neuen ,jungen und hoffnungsvollen Menschen . Die Spirale beginnt erneut sich zu drehen. Nur wenige schaffen es unbeschadet nach oben oder ganz oben zu kommen. Selbst unter den Alphatieren gibt es immer wieder Verwundete oder Verletzte, die auf der Strecke bleiben.Nur diese sind finanziell gut abgesichert.Denen kann niemand mehr ans Bein pinkeln. Die sitzen meist im sonnigen Süden, und leben dank ihres gut gepolsterten Bankkontos unbeschwertes dolce vita. So verheilen die Wunden schnell.
Noch immer sind wir begeistert von der Landschaft, hügelig und sanft. Ruck Zuck ist man im Allgäu, ebenso schnell am Bodensee.
Jetzt ist grade Kirschenzeit.Überall an den Landstrassen gibt es Strassenverkauf.herrlich süsser Kirschen, auch Beeren aller Art werden angeboten. Ein echtes Obstparadies.Im Herbst kommen die vielen Sorten Bodenseeäpfel dazu. Auch der Wein der hier wächst ist süffig und nicht zu verachten. Der langsame Klimawandel kommt den Reben zugute. Bald stehen auch an manchen Landstrassen Tische mit vielen Sorten grün-weiss gestreifter bis orangfarbenen Kürbisse unterschiedlicher Grösse und Geschmacksrichtungen. Eine selbstgemachte Kürbiscremesuppe mit Ingwer und einem Schuss Sahne, leckerer geht’s nicht.
Wir leben in einem Schlemmerparadies. Ich vermute , dass Eva hier in der Gegend in den Apfel gebissen hat. Hat sich nur noch nicht rumgesprochen. Eigentlich ganz gut so. Im Sommer tummeln sich schon genug Touris rum. Auf der Bodenseeuferstrasse radeln die Fahrradfahrer so dicht, dass sie sich gegenseitig schieben können. Aber so entstehen auch Kontakte. Und alle lieben sich, sind heiter und ausgelassen.Die Seele baumelt bis zum Abwinken.
Ravensburg selbst ist ein riesig grosses Terrassen Restaurant. In jeder Gasse und Strasse stehen Stühle und Tische und laden ein zu einem Trollinger, Eis Tasse Kaffee ,Capuccino late macchiato oder einem Imbiss. Die überaus einfallsreichen Frühstücksangebote sind auch nicht zu verrachten. In über 1000 kleinen Einzelhandelgeschäften herrscht ein emsiges Treiben. Die Strassen, Gassen und Gässlein sind stets gefüllt mit einer fröhlichen sportlich wirkenden Menschenschaar. Mediterranes Leben pur, nicht nur Samstag, wenn der grösste Wochenmarkt der Region seinen Termin hat.
Manchmal denken wir, womit haben wir das verdient. Im Paradies kann es nicht schöner sein. JA, seit einem Jahr leben wir im Paradies!