Wiedersehen nach 18 Jahren mit Verena ( Vreni )
Irgendwie spürte ich plötzlich das Verlangen, mit Vreni wieder in Kontakt zu treten. Nachdem 2 Verlage positiv über meine eingesandten Lebensgeschichten reagiert hatten, wollte ich Vreni gewinnen, mit mir zusammen ein Buch zu schreiben. Mir blieb in Erinnerung, dass sie in Deutschaufsätzen immer sehr gute Noten hatte. Auch ihre künstlerische Veranlagung war mir bekannt. Da ich den Schulabschluss in einem franz. Internat machte, verloren wir uns dann etwas aus den Augen.
Zum 50. Geburtstag , vor 18 Jahren, lud mich Vreni ein. Sie feierte in ihrem Schlösschen im Kt. Thurgau. In einem kleinen Rittersaal versammelten sich die eingeladenen Gäste. Ich erinnere mich vor allem an ihre Mutter und Schwester. Ihr Mann Robert kümmerte sich wenig um seine Frau, vielmehr galt sein Augenmerk einer jungen hübschen Studentin. Meine Vermutung, dass das seine Geliebte sein könnte, bestätigte sich dann schnell
Während des festlichen Abendessens sprach Vreni als erstes ein immer wiederkehrendes Dankeschön an ihren Mann. Sie bedankte sich, dass sie mit ihm auf dem Schlösschen leben durfte. Ich hatte das Gefühl, dass jetzt gleich noch ein Dank an ihn kommt, dass sie überhaupt noch lebt, zu essen und zu trinken bekam, und ab und zu seine Gegenwart erleben darf.
Voller Stolz führte sie mir das Anwesen vor. Sie selbst kam aus einem Akademiker Haushalt. Ihre Eltern besassen eine kleine Textilfabrik. Sie gehörten zur normalen Mittelschicht.
Jetzt aber war sie Schlossbesitzerin mit allem drum und dran. Sie hatte jetzt alles, ausser Kinder und einen treuen Mann. Ich dachte vor 18 Jahren schon, dass sie das Leben ganz schön gebeutelt hat. Wusste sie überhaupt was LIEBE ist. Sicher hatte sie auch ein paar sexuelle Abenteuer aus der Not heraus. Aber Liebe ? Von ihrem Mann spürte sie dieses Gefühl schon lange nicht mehr. Sie hatten schon lange getrennte Schlafzimmer und selbst die überlebenswichtigen Kuscheleinheiten wurden nicht mehr geteilt. Kein Wunder dass dieses nur materielle Zusammenspiel schon sehr früh Furchen und Falten in ihr einst so bildhübsches Gesicht prägten. Einen leicht verbitterten Gesichtszug nahm ich schon vor 18 Jahren wahr.
Vreni ist eine hervorragende Hausfrau. Sie erzählte mir, dass sie sogar hauseigenes Bier braut. Die Früchte ihrer Obstplantagen verarbeitet sie zu Gelees, Marmeladen und Säften.
Ihr Mann wünscht, Vreni führt aus.
Nun also, nach 18 Jahren wartete ich auf sie am Hafen von Friedrichshafen.Sie kam mit der Fähre. Meinerseits muss ich sagen, dass ich in den vergangenen 18 Jahren 1 Kleidergrösse zugelegt habe. Mein Mann nennt mich proper knackig.
Vreni war bei unserer letzten Begegnung schon rappeldürr.Ich stellte sie mir noch genau so vor. In ihrem Gesicht haben sich die Falten von damals noch vervielfältigt, und tiefer eingegraben. Die grauen Haare hat sie nun zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammen gebunden.
Früher, als Kinder, war ich die Dürre, sie die knackig propere. So ändern sich die Zeiten.
Erkannt haben wir uns auf Anhieb. Meine und ich denke auch ihre Freude war echt und innig.
Sie erzählte mir erst von ihrer Mutter, die erst kürzlich, im Alter von 102 Jahren verstorben ist .Dass sie als Kind oft und viel geschlagen wurde von ihr. Das letzte mal im Alter von 20 Jahren. Das habe ich nicht gewusst. Vreni hat während unserer Mädchenfreundschaft nie darüber gesprochen.
Während des Mittagessens dann, wie das ganze Elend ihrer Ehe zur Sprache kam, wurde mir schlagartig klar, dass diese verletzte und von Kindheitstagen an
gezüchtigte Seele, ihr geschundenes Leben die letzten Jahrzehnte einfach so weiter lebte .Als Fussabtreter benutzt wurde, ohne dass es ihr bewusst war. Sie stellte sich aber auch als solchen zu Verfügung. Nach der oft gedemütigten Kindheit kein Wunder. Sie erzählt, dass sie viele Freundinnen hat. Ob das die richtigen sind? Eher solche, die das gleiche Schicksal mit ihr teilen. Niemand hat wohl versucht, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Ihr mal richtig, und immer wieder klar gemacht, wie begabt und intelligent sie ist. Man braucht nicht unbedingt Matura( siehe Joschka Fischer ! ) um im Leben erfolgreich bestehen zu können. Ihr Mann hat sie beherrscht klein gehalten. Aber- in einem Schlösschen. Was für ein Leben. Was für ein Preis.
Wir sitzen uns beim Mittagessen gegenüber. Sie isst den Salat ohne Messer, so nach Knigge, vor 50 Jahren. Die Salatblätter sind gross, die Tomatenscheiben auch. Bis in ihr Schloss hat es sich noch nicht rumgesprochen, dass man auch Salat unterdessen schneiden darf. Vornehm lässt sie auch 3 Schupfnudeln auf dem Teller liegen. Ja, die Schicki-Mickis machen das so. Warum eigentlich.? Mein Gott Vreni, seit du dich Verena nennst, hast du wohl deine ganzen natürlichen Eigenschaften mit abgelegt.
Jedes Ehepaar das schon über Jahrzehnte zusammen ist hat mal den Gedanken sich zu trennen, oder einen anderen Partner im Kopf, vielleicht auch mal im Bett. Aber dass es in der heutigen Zeit noch vorkommt, dass eine Frau, die einen Beruf hat und sich selbst ernähren kann, solange in einer patriarchischen Ehe aushält, das ist mir schleierhaft. Mein Gott Vreni, was ist aus dir geworden ???
ABER……es ist nie zu spät!
Sie träumt von einem eigenen Atelier. Auf der Suche nach einem solchen werde ich sie unterstützen. Sie muss wieder Flügel kriegen. Zu lange kriecht sie nur noch mit Stummeln durch die enge Welt in der Nähe vom Bodensee. Eine kleine Wohnung in einer Stadt kann ihr wieder Flügel und Selbstwertgefühl verleihen. Ich wünsche mir, dass sie wieder lachen und tanzen lernt, so wie früher. Der beste Erfolg wäre, wenn auch der Schalk ihr wieder ab und zu im Nacken sitzen würde.